Familienorientierte Rehabilitation

Vier Wochen »Raus«-Zeit

So lautete der Titel des Vortrags von Stephan Meyer auf unserem Kinderherz-Symposium 2001, der diese Möglichkeit der Nachsorge dem Publikum zusammen mit Dr. Andrea Fetzner vorstellte. Beide kommen von der Nachsorgeklinik Katharinenhöhe und berichteten aus ihrer täglichen Praxis. Im folgenden erläutern wir, was eine Familienorientierte Rehabilitation ist und welche Ziele sie verfolgt.

Hintergrund, Inhalt und Ziele

Bei viele Kindern mit angeborenen Herzfehlern sind langwierige stationäre Behandlungsphasen und wiederholte Herzchirurgische Eingriffe erforderlich. Nicht immer garantiert eine erfolgreiche Behandlung auch eine unbeeinträchtigte psychomotorische Entwicklung. Im sensiblen Umgang mit den Patienten und ihren Angehörigen wird zunehmend klar, daß der ärztliche Behandlungsauftrag nicht damit erfüllt sein kann, für jeden herzfehler lediglich eine gute Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht zu haben.

Die Erkrankung tangiert den Patienten in allen Lebensbereichen und Altersabschnitten. In besonderem Maße ist seine Familie, sein engster sozialer Bezugsrahmen, deshalb immer mit betroffen. Wie alle Kinder wollen auch die herzkranken Kinder trotz einer chronischen Behinderung, eines unbefriedigten OP-Ergebnisses oder einer notwendigen körperlichen Einschränkung Sport treiben, später eine Schule besuchen, einen Beruf erlernen und eine Familie gründen.

Es gilt also, die immer häufiger überlebenden und immer älter werdenden, chronisch herzkranken Patienten nach der erfolgreichen Akutbehandlung in ein weitgehend normales Leben zu integrieren. Voraussetzung hierfür ist ein stabiler und widerstandsfähiger sozialer Bezugsrahmen.

Das Leben der Kinder und der betroffenen Familien ist von Anfang an schwer belastet. Bei den meisten Kindern mit Herzfehlern wird die Diagnose im frühen Säuglingsalter gestellt. Hierauf folgen für die Familie viele Wochen und Monate voller Ängste und Sorgen, wie sich das Kind bis zur ersten Operation entwickeln kann, wenn nicht bereit unmittelbar nach Diagnosestellung einoperativer Eingriff unumgänglich ist und sich eine wochenlange, selten monatelange stationäre Behandlung anschließt.

Selbst nach Überwindung der schlimmen Zeit auf der Intensivstation und der Zeit der Rekonvaleszenz auf der Normalstation ist eine Normalität noch lange nicht erreicht, wenn sie denn je erreicht werden kann. Anfangs sind häufige, später längerfristige kinderkardiologische Kontrolluntersuchungen bis ans Lebensende notwendig. Und bei jeder Kontrolluntersuchung ergibt sich aufs Neue die bange Frage, ob nicht wieder eine neue Behandlungsmaßnahme erforderlich wird, die dem langfristigen, möglichst beschwerdefreien Dasein dienen soll. So läßt sich unschwer verständlich machen, daß hierunter nicht nur die Patienten selbst, sondern auch die Eltern und insbesondere die Geschwister leiden.

Die Patienten sind neben der eigentlichen Erkrankung zusätzlich belastet durch die häufige Trennung von der Familie, sowie durch Ablehnung oder Überbehütung im unmittelbaren sozialen Umfeld. Häufig besteht eine verzögerte psychomotorische Entwicklung, die Kinder fühlen sich minderwertig und schwach. Später können laufend notwendige Arztbesuche und erneute langwierige Therapiemaßnahmen zu Schulfehlzeiten und schlechten Leistungen führen. Mit zunehmendem Alter drängt sich die Angst vor einem plötzlichen Herztod auf, besonders bei Patienten mit sehr komplexen Herzfehlern, künstlichen Herzklappen oder Herzschrittmachern. Zwangsläufig ergeben sich besondere Probleme bei der Berufswahl und eine erhebliche Unsicherheit bei der Familienplanung.

Gekürzte Fassung des Autors Dr. Christoph Irtel von Brenndorff

Indikation für eine FOR

Aus: »Stellungnahme und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie«

»…Etwa 75% der angeborenen Herzfehler sind als kompliziert einzustufen. Als Therapeuten können wir nur andeutungsweise nachempfinden, mit welchen Ängsten und Problemen die Betroffenen und deren Angehörige umgehen lernen müssen. Die kinderkardiologische und kinderherzchirurgische Behandelbarkeit vermittelt nach erfolgreichen Interventionen nicht zwangsweise ein beschwerdefreies Leben. Unter der Erkrankung leiden nicht allein die betroffenen Patienten, sondern auch ihre unmittelbaren Familienangehörigen. Oft heißt der Patient deshalb Familie.

B. Charta des Kindes der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jedes Kind hat ein Anrecht auf die ihm gemäße ungestörte körperliche, geistige und seelische Entwicklung. Danach besteht das Ziel der Rehabilitation darin, hinsichtlich des Primärprozesses Schädigungen(»Impairments«), Fähigkeitsstörungen (»Disabilities«) und Beeinträchtigungen (»Handicaps«) zu minimieren und die Entwicklung von Sekundärprozessen zu verhindern. Rehabilitation zielt nicht nur darauf ab, eingeschränkte und benachteiligte Personen zu befähigen, sich ihrer Umwelt anzupassen, sondern auch darauf, in ihre unmittelbare Umgebung und die Gesellschaft als Ganzes einzugreifen, um ihre soziale Integration zu erleichtern.

C. Grundlagen und Aufgaben der Rehabilitation
1. Beseitigung und Vorbeugung von krankheits- oder behinderungsbedingten körperlichen und psychischen Fähigkeitsstörungen (Förderung und Wiederbefähigung)
2. Vorbeugung von Sekundärprozessen
3. Sicherung und Wiederherstellung der Eingliederung der Betroffenen in Schule, Ausbildung, Beruf, Familie und Gesellschaft (Reintegration).
Aus der Sicht der Rentenversicherungsträger liegt das langfristige Ziel der Kinder- und Jugendlichenrehabilitation darin, eine mögliche Minderung oder gar den Verlust der Erwerbsfähigkeit zu verhindern. Beim chronisch kranken Kind darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß die Familie als wichtigster sozialer Bezugsrahmen Voraussetzung ist für eine positive Verarbeitung des chronischen Krankheitsgeschehens. Außerdem kann die Erwerbsfähigkeit der Eltern und der Geschwister unmittelbar durch die Erkrankung des Kindes stark beeinträchtigt sein. Hieraus ergibt sich logischerweise die Notwenigkeit einer familienorientierten Rehabilitation.

D. Indikationen zur FOR im Fachbereich Kinderkardiologie
Es wäre grundsätzlich falsch, Indikationen zur Rehabilitation in der Kinderkardiologie an bestimmte anatomische Diagnosen oder herzchirurgische Eingriffe fest zu koppeln. Es ist keineswegs so, daß beispielsweise alle Familien mit einem Kind nach korrektiver Operation eines komplexen Herzfehlers (z.B.: Fallotsche Tetralogie, univentrikuläre Kreislauftrennung u.v.a.) Reha-bedürftig sind. Dagegen kann sich bei Kindern mit vergleichsweise harmlosen Herzfehlern, wie einem Vorhofseptumdefekt, durch krankheitsbedingte Verhaltensstörungen im weitesten Sinne eine dringende Rehabilitatiosbedürftigkeit ergeben.

1. Zeitpunkt der Rehabilitationsbedürftigkeit
Bei manchen Kindern und deren Familien ergibt sich bereits präoperativ eine Reha-bedürftige Situation, bei anderen entwickeln sich erst im Laufe der Jahre nach einer Herzoperation Probleme, die eine Rehabilitations-Maßnahme erforderlich werden lassen. Am häufigsten besteht allerdings unmittelbar im Anschluß an einen operativen Eingriff die Rehabilitationsbedürftigkeit.
Es ist Aufgabe des medizinischen Fachpersonals, an die Möglichkeiten einer rehabilitativen Therapiemaßnahme zu denken und gegebenenfalls weitere Schritte einzuleiten (z.B. Beratung beim psychosozialen Dienst der Abteilung).

2. Familienmitglieder Es ergeben sich unterschiedlich gewichtete Problematiken, wenn die einzelnen Familienmitglieder gesondert berücksichtigt werden.

Bei den Betroffenen kann sich eine Reha-Bedürftigkeit neben den im Vordergrund stehenden medizinischen Fragen u. a. ergeben aus: fehlender Krankheitsakteptanz, ungenügend wirksamem Krankheitsmanagement, ambulant nicht hinreichender Kompensation und vorhandenen oder drohenden Folgeschäden.

Bei den Eltern sind es: Verschlechterung bestehender Erkrankungen, Ängste vor Verlust des Kindes, Erziehungsprobleme, psychosomatische Erkrankungen, Eßstörungen, Schlafstörungen, depressive Episoden / Störungen, Paarproblematiken

und bei den Geschwistern: Ängste vor Verlust des Geschwisterkindes, Verschlechterung bestehender Erkrankungen, psychosomatische Erkrankungen, Eßstörungen, Schlafstörungen, regressive Verhaltensstörungen, Aggressionen, Schulleistungsprobleme u.a.
3. Formulierung der Reha-lndikation Einerseits gibt es ganz klar die medizinische Indikation mit vordringlichem Bezug auf die Stabilisierung u./o. Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit des Patienten. Je nach Zeitpunkt der Reha-Bedürftigkeit ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte bei der Indikationsstellung und der Therapieplanung. Es muß begründet sein, dass die Einbeziehung der Familie notwendig ist, um dieses Rehabilitationsziel zu erreichen. Andererseits gibt es den Bereich der psychosozialen Indikation. Hier stehen also in erster Linie nicht die physischen, sondern die durch intraindividuelle, innerfamiliäre und soziale, krankheitsbedingte Konflikte entstandenen Fähigkeisstörungen und/oder Beeinträchtigungen im Vordergrund. Die Indikation zur Reha ergibt sich aus der Notwendigkeit einer umfassenden erkrankungsspezifischen Aufklärung, Vermittlung von Methoden zur Krankheitsverarbeitung und Reduktion von Ängsten, Sicherung und Wiederherstellung der Eingliederung der Rehabilitanden in Schule, Ausbildung, Beruf, Familie und Gesellschaft. Als Konsequenz ergibt sich aus diesen Überlegungen in der Kinderkardiologie sehr häufig eine gemischte medizinische und psychosoziale Indikation mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Diese Schwerpunkte müssen für jede betroffene Familie gemeinsam mit den Mitarbeitern des psychosozialen Dienstes und den betreuenden Ärzten eruiert werden. Sie müssen im Bedarfsfalle in einem individuell ausformulierten »Antrag auf Kostenübernahme für eine stationäre familienorientierte Rehabilitation« verständlich beschrieben und mit den anzustrebenden Rehabilitationszielen dargelegt werden.«

Anschrift des Verfassers:

Dr. Christoph Irtel von Brenndorff
Spezialambulanz für Pädiatrische Kardiologie
Klinikum Mittelbaden gGmbh
Balger Straße 50
76532 Baden-Baden
Tel. 07221 – 91 2602
Fax 07221 – 9142 912610
www.pk-ivb.de

Adressen, Informationsmaterial und Links

Nachsorgeklinik Tannheim
Gemeindewaldstr. 75
78052 VS-Tannheim
Tel.: (0 77 05) 920-0
Fax: (0 77 05) 920-199
www.tannheim.de

Katharinenhöhe
Rehabilitationsklinik für Kinder mit Familie, Jugendliche und junge Erwachsene
Oberer Katzensteig 11
78141 Schönwald
Tel.: (0 77 23) 65 03-0
Fax: (0 77 23) 65 03-100
www.katharinenhoehe.de

Kinderhaus Klinik Bad Oexen
Oexen 27
32549 Bad Oexen
Tel.: (0 57 31) 537-0
Fax: (0 57 31) 537-736
www.badoexen.de

Rehazentrum Ederhof
auf organtransplantierte Kinder und Jugendliche spezialisiertes Rehazentrum
Stronach 7, 9992 Iselsberg-Stronach, Österreich
Tel.: 0043 4852 69 990
Fax: 0043 4852 69 99-11
www.ederhof.eu